Donnerstag, 27. September 2012

"Wir hoffen, dass wir das System stürzen können"

Griechenland stand still. Beamte, Seeleute, Busfahrer oder Bankmitarbeiter - Zehntausende haben mit einem Generalstreik gegen das neue Milliarden-Sparprogramm protestiert. Das hat die Regierung trotzdem verabschiedet. Die Wut entlud sich auch in Krawallen.

Athen/Thessaloniki/Hamburg - "Generalstreik - alle gemeinsam, um den Sparpakt zu zerbrechen": Mit diesem kämpferischen Motto haben die großen Gewerkschaften die Griechen zum Ausstand aufgerufen. Es ist der erste Generalstreik, seitdem die Regierung von Ministerpräsident Antonis Samaras im Juni vereidigt wurde, und die Wut ist groß. Die Demonstranten tragen Transparente mit Sprüchen wie "Genug ist genug", "Wir oder sie" oder "Geschichte wird durch Klassenkampf geschrieben" vor sich her.

Der Verkehr kam komplett zum Erliegen, Straßen waren dicht, Fähren und Züge wurden bestreikt, Dutzende Flüge fielen aus. Der Müll wurde nicht abgeholt, Ärzte behandelten nur Notfälle, die Apotheken blieben zu. Auch die Beamten aller Ministerien streikten, in den Schulen fiel der Unterricht aus.

Die Sommerpause ist vorbei

Mitten in Athen spielten sich ähnliche Rituale ab, wie bei vergangenen Protesten. An den Straßen zum zentralen Syntagma-Platz stehen wieder die dunkelblauen Kastenwägen der Polizei, groß wie Busse. Um sie herum Polizisten, schwer gewappnet mit Schutzschildern, Knüppeln und Gasmasken.

Die Sommerpause ist gerade vorbei und schon sehen einige die griechische Gesellschaft kurz vor dem Kollaps. "Nach dem Wirtschafts-Crash steht Griechenland jetzt vor dem gesellschaftlichen Zusammenbruch, zwölf Prozent der Griechen haben überhaupt kein Einkommen mehr", sagt Panagiotis Tsaraboulidis, Präsident der Arbeitnehmervertretung in Thessaloniki. Wenn die EU auf ihren Vorgaben beharre, werde alles zusammenbrechen, sagt Tsaraboulidis, sieht die Schuld aber im eigenen Land: "Ich habe weniger ein Problem mit der Troika oder den Deutschen, als mit den inkompetenten Menschen, die uns regieren."

Ähnlich sehen das auch die Demonstranten in Thessaloniki: "Ich würde mir eher die Hand abhacken, als nochmals für Samaras zu stimmen.", sagt Ioanna Papademetriou, die zum ersten Mal demonstriert. "Er hat versprochen, uns aus der Krise zu führen und jetzt zieht er uns immer tiefer herein". Die 35-jährige Lehrerin ist verzweifelt, weil ihr Gehalt massiv gekürzt wurde und ihr Ehemann seinen Job verlor.

Polizisten schützen den Luxus

In Athen beginnen zur selben Zeit die ersten Ausschreitungen - auch das fast ein Ritual. Das Grande Bretagne, eines der teuersten Hotels in Athen direkt am Syntagma-Platz, hat die Fensterläden geschlossen. Eine Einheit Polizisten steht vor dem Eingang, alle tragen Gasmasken. In der Voukourestiou Straße mit ihren Juwelierläden, mit den Boutiquen von Prada, Dior und Louis Vuitton stehen die Polizisten in Zweierreihen. Immer wieder fliegen Steine in ihre Richtung, Wasserflaschen.

Einer der Polizisten ist Sakis, 22. Er sieht angestrengt aus und fast ein bisschen ängstlich. Die Gasmaske klemmt unter seinem Arm. "Am Anfang habe ich das persönlich genommen", sagt er. Jetzt stehe er hier und mache seinen Job. Ein Mülleimer brennt. Wie meistens sind unter den vielen friedlichen Demonstranten auch diejenigen, die Randale machen. Die Autonomen, der Schwarze Block. Sie werfen Molotow-Cocktails.

"Alles Absicht und geplant - von der Politik", vermutet Vassiliki Tzavara. Die 45-jährige Ärztin sagt, die Randalierer wüssten genau, was sie täten: Sie stellen sich vor eine Fernsehkamera und schlagen los. Damit friedliche Demonstranten die Flucht ergriffen und ihren Unmut nicht mehr äußern könnten. Damit sich die Demonstration schnell wieder auflöst und die Politik ihre Ruhe habe. Tzavara ist nicht die einzige, die so denkt, aber sie ist vor allem hier, um zu demonstrieren. So könne es nicht weitergehen: "Ein Arzt betreut in einem Athener Krankenhaus im Durchschnitt über 60 Patienten", sagt sie, das sei zu viel.

Regierung beschließt trotz Protesten Sparpaket

Gegen Mittag beginnt die Polizei, Tränengas einzusetzen, die Demonstranten antworten mit lauten Buhrufen. Auf dem Syntagma-Platz stehen auch der 31-jährige Thanasis und seine Freundin Maria. Angst vor dem Tränengas haben sie nicht: Beide tragen Mundschutz, wie im Krankenhaus. Sie haben ein Anliegen: "Wir hoffen, dass wir das System stürzen können. Die Politiker sind so korrupt", sagt Maria, klingt dabei aber eher verzweifelt als kämpferisch. So oft sind sie schon hier zusammengekommen, gegen die eigenen Politiker, gegen die Troika, gegen die harschen Sparmaßnahmen - geändert hat sich aber nichts. Die Zahl der Arbeitslosen steigt weiter, während die Löhne und Renten sinken. Ungeachtet der Proteste hat sich die Regierung von Samaras auf weitere Ausgabenkürzungen von fast zwölf Milliarden Euro geeinigt. Die mit den internationalen Gläubigern ausgehandelten Sparmaßnahmen sehen weitere Kürzungen bei Renten und Löhnen vor - sonst wird die nächste Kreditrate von mehr als 30 Milliarden Euro nicht überwiesen. Das Problem für Samaras: Die Sparmaßnahmen müssen noch vom Parlament gebilligt werden, viele Abgeordnete haben Angst vor den Reaktionen ihrer Wähler - vermutlich zu Recht.    Auf der Straße ziehen Thanasis und Maria vom Syntagma-Platz weiter. Auch sie brüllen jetzt, wie die anderen Demonstranten: Polizisten, Schweine, Mörder. Polizisten, Schweine, Mörder. Plastikflaschen fliegen.  Lahmgelegt wurde das Land am Mittwoch von einem Durchschnitt der gesamten griechischen Gesellschaft, der sich am Generalstreik beteiligte. Unter den Demonstranten in Athen sind aber auffallend viele junge Leute, die meisten zwischen 20 und 30. Sie sind Mitglieder der sogenannten Lost Generation. Ihnen geht es gar nicht um Rentenkürzungen und auch nicht um Lohnkürzungen. Die meisten haben nicht einmal einen Job.

Quelle: www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/proteste-bei-generalstreik-in-griechenland-a-858201.html       


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